

dreißig
Irgendwie beruhigt es mich, dass es draußen wieder anfängt zu schneien, auf dem Weg zur Hohen Straße setzt der Schnee wieder ein, leise, fein, beinahe unsichtbar. Diesmal muss ich nicht rennen, in meinem Beutel Filme und Kontaktabzüge, ich bin zufrieden.
Ich zeige ihr ein paar Kontakte, dann Fotos der letzten Woche, sie freut sich sehr, aber was ich so richtig erzählen soll, weiß ich nicht. Brauche immer länger, um mich aufzuwärmen, meist ist da irgendein Satz, der mich in Fahrt bringt. Die Frage nach dem wie geht es Ihnen fällt seltener, meist rücke ich automatisch damit heraus. Je stiller ich am Anfang bin, desto schlechter geht es mir, ich glaube, dass sie das ebenso weiß wie ich. Vor dem Fenster wieder die Krähen, dieses Mal ein Schwarm, ob sie sich wirklich jedes einzelne Gesicht merken können, das sie in ihrem Leben sehen? Von draußen muss das alles fürchterlich verzerrt aussehen, entweder viel zu groß oder viel zu klein oder zu sehr entrückt.
Eine Auflistung, was in nächster Zeit ansteht, sie macht sich darüber Notizen, die Mappenabgabe und potenzielle Prüfung hat sie im Hinterkopf, fragt danach, bittet mich, sie auf dem Laufenden zu halten, fragt mich, ob ich geantwortet habe auf Emails, fragt mich, wie es mir dabei geht. Das Reden über meinen digitalen Output, ich mache das nur für mich, mein Platz, mein persönlicher Platz.
Meine Angst und deren Umschreibung beim Gedanken an die nächsten, für mich relativ ungewissen, acht Monate und mein Entschluss, auch das nicht zu fürchten. Wenn Sie sich alles vor Augen führen, was Ihnen passiert seit Therapiebeginn, dann werden Sie sehen, wie stark Sie geworden sind und dass Sie keine Angst haben müssen; und ich bin ja auch noch da. Sie hat recht, dann erklärt sie mir, wieso zumindest depressive Phasen immer ausbrechen, wenn es mehr Druck gibt, sei es durch Prüfungen oder Hausarbeiten. Ich erzähle ihr von Prokrastination und meiner mangelhaften Zeitplanaufstellung und dem daraus resultierenden Scheitern. Das ist auch eine Art der Negativspirale. Ja, es macht Sinn, das ist ja wie im normalen Leben auch - fällt irgendein Baustein nicht so wie er soll oder fehlt auf einmal einer, bricht das gesamte Gebilde zusammen, der gesamte Plan. Und dann wohl die Angst vorm Aufbau, vor dem Berg, der über einem zusammenbrechen könnte. Sie brauchen keine Sorge haben, reden Sie einfach mit Ihren Dozenten. Es kann ja nicht schlimmer werden als das Aufnahmegespräch in der Klinik. Ja, eigentlich kann nichts schlimmer werden als das. Ihren ersten Arbeitstag haben Sie ja auch sehr gut überstanden und Gespräche auch, also brauchen Sie sich keine Gedanken darüber zu machen, Sie wären nicht stark. Sie haben eher ein hohes Verantwortungsbewusstsein und manchen kann das auch Angst machen.
Heute kommt die Sonne nicht so richtig heraus und während mir das auffällt und sie mir noch ein paar Grundlagen mit auf den Weg gibt, denke ich darüber nach, wie sie das mit ihren Haaren macht. Zumindest bei mir sieht keine Hochsteckfrisur konsequent ähnlich aus. Mir fällt die Trivialität meiner Gedanken auf, was auch immer soll daran wichtig sein, bei mir werden sie immer länger und es gibt da immer mehr weiß. Machen Sie sich noch Gedanken wie damals im Dezember, wie "ich bin nicht wertig genug, ich bin nicht wichtig"? Ein kurzes Nachdenken, das fühlt sich sehr lang an, wohl für uns beide. Nein. Mir ist bewusst geworden, was ich für ein Mensch bin, dass man mich wohl wirklich nur einmal finden kann, dass ich mich nicht mehr vergleiche. Es gibt ja irgendwo immer jemanden, von dem man denkt, er sei besser, intelligenter, kreativer, gutaussehender, aber das hat doch keine Auswirkungen auf einen selbst. Man sollte sich dessen bewusst sein. Manchmal brechen die Zweifel hoch, sage ich ihr, aber ich denke dann daran, dass ich mit einem anderen Menschen wachsen kann, mindestens aber auch alleine, für mich selbst. Ich sage ihr nicht, dass ich mir eine Beziehung wünsche wie zwischen Helmut und June Newton, also auch die fotografische, ich sage ihr nicht, dass ich das als ein modernes Denkmal einschätze und dann auch noch diese besondere Art zu sehen, dieses Sehen in Licht und Schatten und Posen. Ich denke es laut, vielleicht hört sie es trotzdem. Ich finde das gut, Sie müssen sich auch wirklich nicht vergleichen mit anderen oder weniger wert fühlen. Sie haben so vieles in sich, was Sie besonders macht, die Menschen, die Ihnen wichtig sind, sollten das sehen können. Ich nicke. Man entscheidet sich ja bewusst für jemanden. Ich nicke wieder. Das Problem dabei ist, dass das Leben auf niemanden wartet, dass Zeit auf niemanden wartet. Das Problem dabei ist, dass man nicht immer nur vor sich selbst wegrennen darf. Dass das wegrennen einen noch mehr unter Druck setzt, als sich endlich Dinge einzugestehen, die sich andere auch eingestehen können. Dass man wissen muss, dass Angst im Endeffekt nichts bringt, wenn man mehr als nur Vorsicht daraus baut. Dass man nicht potenziell Menschen ziehen lassen kann, weil man denkt, es kommt jemand noch besseres. Ja, es gibt auch so vieles was ich nicht kann, die meisten sehen meine Unsicherheiten so selten, weil ich meine Maske perfektioniert habe, aber wenn man mir und meinen Worten zuhört, kann man auch die Unsicherheiten sehen. Aber die gehören auch dazu. Und irgendwie mache ich in allem, was ich dokumentiere, fotografiere, über das ich schreibe, Bruchstellen sichtbar; meine eigenen, die der anderen, von Menschen, die ich liebe, die von Gefühlen, die Frage ist doch, ob man jemals so richtig irgendwo angekommen ist, das ist wirklich ein permanentes Dazwischen. Ob es sich leichter lebt, wenn man das so akzeptieren kann?
Diesmal eine merkwürdige Hausaufgabe. Stellen Sie sich vor den Spiegel, schauen Sie sich in die Augen und wiederholen Sie Komplimente, die Sie bekommen haben. Meine wahrscheinlichste Reaktion ist Lachen, schallendes, denn ich muss dabei immer an meine Großmutter und ihre Selbstgespräche denken und wie sie Fusseln in der Sonne beim durch die Luft schweben beobachtet.
Draußen: Puderzuckerschnee. Musik: but I never asked you to explain me that.
And it rips through the silence of our camp at night
And it rips through the silence, all that is left is
And it rips through the silence, all that is left is
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hej. alles, was du sagst, ist wichtig.
ich danke dir.