Mittwoch, 17. April 2013

eulogy for evolution

Untitled by smallcutsensations

sechsunddreißig
Es war hart und im Nachhinein möchte ich nicht wirklich über diese Sitzung schreiben. Sie hat mich ins Mark getroffen, die Artikulierung von all dem, was mich umtreibt, was in mir drin schmerzt, wenn man es zulässt. Für ein paar Minuten erzählt sie und ich sitze da und bekomme keine Luft mehr, ob das Panik war, weiß ich nicht, aber es geht um die Symbolik von Menschen in meinem Leben und es geht darum, ob man diese Symbolik nicht auch einfach hinnehmen und auf andere Menschen transferieren kann. Ich sage, dass ich diese Annahme noch nicht bestätigen kann, weiß aber eigentlich, dass ich schon lange nur noch an der Symbolik festgekrallt habe.
Es wird Sie treffen, wenn Sie sehen, wie es bei anderen ist. Vergessen Sie nicht, manche Wunden heilen nicht. Denn es gibt Menschen, die aufgrund biologischer Begebenheiten nie durch andere ersetzt werden können. Da sticht es etwas, das war mir jedoch von Anfang an bewusst.
Im Anschluss habe ich Zeit, Licht zu dokumentieren, eine halbe Stunde lang. Die hohe Straße gebärt sich gerade wieder von Neuem, immer diese Bildfiguren, Synästhesien, wo man sich auch nur hinwendet.

siebenunddreißig
Wie geht es Ihnen? Ich sitze im Sonnenlicht, denke an die Fotos vom Therapieraum, die ich letzte Woche gemacht habe, minutenlanges Liegen auf dem Rücken auf dem Parkett. Auf einmal erscheint mir die Frage nach der Begreifbarkeit eines Raums gekoppelt an mein Entdecken dessen, wenn ich Zeit habe, auf die Decke zu starren, die Augen zu schließen und ich die Stille in den einzelnen mehr oder weniger entfernten Ecken des Raums hören kann. Es schockt mich, dass zu sagen, aber es geht mir sehr gut; erzählen muss ich trotzdem etwas. Als ich nach langer Zeit wieder Luft hole und fertig bin, schaut sie mich an und zieht die Augenbrauen hoch. Keine Bange, genauso habe ich auch reagiert, sage ich ihr. Wie geht es Ihnen jetzt? Wie gesagt, es schockt mich, aber es geht mir wieder richtig gut. Letzte Woche ging es krass in die negative Richtung, deshalb musste ich einfach sagen, dass mir etwas nicht gut tut. Sie haben gut reagiert, Sie wehren Behauptungen ab, die für Sie allgemein nicht annehmbar sind und Sie kategorisieren ganz klar nach "das tut mir gut, das tut mir nicht gut".
Ich würde am liebsten sagen, dass ich mir gerne einen Boxsack kaufen würde, um meine Aggressionen ablassen zu können. Stattdessen: so muss ich nicht mit mir umgehen lassen. Ja, da sind zwei Ansätze - Sie sortieren für sich aber sehr gut aus, dass der Großteil dessen, was Ihnen an den Kopf geworfen wird, einfach nicht stimmt. Auf der anderen Seite haben Sie jemanden, der gerade um sich schlägt, während derjenige um sich kämpft und auf der anderen Seite gibt es Sie, Sie gehen auf Ihre Art damit um, sehr ruhig, den anderen berücksichtigend, aber Sie kämpfen. Das rechtfertigt nichts davon, ich weiß nur, dass ich wieder einen wunden Punkt getroffen habe, dass ich wieder recht hatte. Und wenn man es von der puren wohlwollenden Seite betrachtet? Auch dann ist es nicht gerechtfertigt. Sie kämpfen, die andere Person ebenso, aber Sie tun dies auf unterschiedlichen Ebenen. Da sind nicht zwei Schritte dazwischen, sondern Kilometer. Wir reden über das Konzept von kaputten Seelen und sprechen wieder über den Begriff Gesundheit. Ich merke, dass Sie stolz auf meine Fortschritte ist, ich merke, dass mich das Grundthema nicht mehr so trifft wie noch vor ein paar Wochen, wie damals in der Klinik. Die Tasse, die ich an die Zimmerwand schmiss. Irgendwann ist gut, sage ich, ich lasse mir meine Mündigkeit nicht nehmen und mir irgendwelche Sachen sagen, die nicht stimmen, die ich auseinandernehmen kann. Sie nickt, aber mein Schuldgefühl ist noch da. Ob das jemals weggehen wird? Lassen Sie sich ein paar Fragen durch den Kopf gehen: was hätten Sie anders machen sollen, können? Würden Sie etwas anders machen? Haben Sie sich etwas vorzuwerfen? Nichts, nichts, nein. Ich trete einfach nicht auf Menschen drauf, die am Boden liegen. Allgemein: ich trete nicht auf andere.  Ich wünsche mir für den anderen immer das beste, Gesundheit vor allem, Zufriedenheit und ein hohes Selbstwertgefühl. Aber immer die verqueren Auffassungen von Respekt. Ich sage ihr, dass ich etwas lachen musste, als ich mir das durch den Kopf habe gehen lassen. Es gibt Menschen, die keine meiner positiven Eigenschaften kennen und mich trotzdem kennenlernen wollen und dann gibt es den Gegenpol, der alles kennt und nichts davon schätzt. Sie nickt. Alles, was Ihnen gut tut. Ja, mir geht es gut und das steht auf meiner Prioritätenliste sehr weit oben.

Ich erzähle ihr von ein paar weiteren Begebenheiten der letzten Woche und wie mich das irritiert hat und gefreut; wie sich die Uni angefühlt hat, das Warten auf meine Note. Das Versprechen, ihr zu zeigen, was bei den Fotos herausgekommen ist. Sie wird zu Therapieende ein kleines Buch von mir bekommen mit Aufnahmen. Weil ich etwas zu spät kam, ist die Sitzung kürzer als sonst, Aufstehen in der Sonne, zu Hause kann man den Sommer schon riechen. Den Park, irgendetwas mit Bratwurst, nasses Gras. Zu guter letzt schätzen wir mein Selbstwertgefühl auf einer Skala von null (nicht vorhanden) bis zehn (übermäßig, beinahe schon gefährlich gut), ich sage siebenkommafünf bis acht, sie freut sich. Vor einem Jahr hätte ich nullkommafünf bis eins sagen müssen. Alles wird gut, aber das artikuliere ich nicht laut. Ich will raus, in die Sonne.
Vor dem Haus dann erwischen mich die Böen so wie in Timmendorfer Strand im Januar und ein bisschen schwingt die Wehmut mit; der letzte Frühling, Sommer hier und obwohl ich es nicht abwarten kann, endlich wieder hier wegzukommen, gibt es ein paar Menschen, die mir fehlen werden. Seine Familie sucht man sich letztlich selbst zusammen.

1 Kommentar:

hej. alles, was du sagst, ist wichtig.

ich danke dir.