
neunundzwanzig
Draußen ist es windig und ich bemerke immer wieder, dass ich momentan kaum gegen Böen ankommen kann. Das Haus an der Ecke, an dem sie noch im Sommer gebaut haben, steht da wie ein Denkmal für sich selbst. Ich warte, die anderen beobachten ihre Fußspitzen oder starren den Saum meines Kleides an. Sie höre ich immer an der Art heraus, wie sie auf die Treppenstufen und die quietschenden Dielen tritt. Diesmal bin ich ziemlich ungeordnet, ich weiß gar nicht so richtig, was ich ihr sagen soll, als wir die Treppe hochgehen, wieder erste Etage, links, dann der große Sitzungsraum auf der rechten Seite. In meiner Tasche zwei Kameras, eine kleine Plastikkamera, die ich ihr zeige und sie mich ganz verdutzt anschaut, aber im Raum ist kein Licht, also traue ich mich wirklich nicht, zu fragen, ob ich den Boden fotografieren kann. Der Wind schlägt auch gegen die Fensterfront und es beruhigt mich etwas, das auch sie sich ein wenig zu biegen scheinen.
Den therapeutischen Wutbrief an meine Mutter habe ich noch nicht schreiben können, aber ich lese ihr trotzdem etwas vor und sie blinzelt mit den Augen und schaut mich mit schief in den Nacken gelegtem Gesicht an. Wissen Sie eigentlich, dass Sie immer lachen müssen, wenn Ihnen jemand ein Kompliment macht? Ja, sage ich, auch wenn mir nicht aufgefallen ist, dass es so offensichtlich sein muss. Das ist Überforderung, gebe ich zu bedenken, ich habe nie gelernt, damit umzugehen. Wir wissen beide, dass Sie sehr misstrauisch sind und das macht aufgrund der Erfahrung Ihres bisherigen Lebens auch Sinn, aber wieso geben andere Menschen Komplimente? Wir nehmen das auseinander und ich fange mit der misstrauischsten Interpretation an. Weil sie selbst ein Kompliment bekommen wollen. Zur Stärkung der zwischenmenschlichen Beziehung. Weil sie es einfach nur sagen wollen. Und jetzt denken Sie daran, dass man das einfach nur sagt, weil man zeigen möchte, wie viel einem ein Mensch bedeutet. Ich sage, dass das stimmt, aber dass ich mich frage, wie man da das Stärken der zwischenmenschlichen Beziehung, auf welcher Ebene auch immer, vermeidet. Wir sind etwas ratlos, das sind wir allgemein irgendwie die gesamte Sitzung und ich erzähle ihr dann von meiner Angst, dass ich nicht mehr so weit unten sein will wie im Dezember und dass ich weiß, dass ich nicht meine Angst bin, aber dass es irgendwo diese Schwierigkeit gibt, dass ich manchmal das Gefühl bekomme, ich habe die Dinge gesagt und immer wieder gesagt und man nimmt das nicht ernst. Wir wissen wiederum beide, dass Sie sehr intelligent sind, zumindest Sie kennen auch die Zahl. Einhundertsiebenunddreißig, aber die sagt doch so viel aus über mich wie mein Abizeugnis: gar nichts. Draußen sieht es aus wie nach einem vorzüglichen Weltuntergang, das mit der Mappe kommt immer näher, ich sage ihr, dass ich versuchen will, ihr ein paar Sachen zu zeigen. Fotografieren muss ich sowieso noch, aber dass ich ein Thema habe und dass mein Dokumentationsdrang für dieses Jahr da auch ganz gut hineinspielt. Wir wechseln das Thema. Aber lassen Sie sich Zeit, gehen Sie die Möglichkeiten in Gedanken durch. Dann wieder dieses Schuldgefühl, dass ich mich arrogant fühle, wenn ich an manchen Stellen weiß, was passieren wird und dass mich das so oft fertig macht, aber ich das nicht artikulieren kann, weil ich nicht möchte, dass andere das Gefühl bekommen, ich beschwere mich dann am Ende noch über diese Auffassungsgabe. Ich sage ihr, dass ich das Bauchgefühl nenne und ich sage ihr, dass mich das seit 2011 nicht hinters Licht geführt hat. Sie lächelt, ich schaue immer wieder nervös auf die große Uhr, die hinter mir an der Wand hängt. Ich würde sie gerne fragen, wie sie mich einschätzt, was ich für ein Mensch bin, aber ich traue mich dann auch wieder nicht, eigentlich ging es nur darum, dass ich die Menschen, die ich in meinem Leben haben will, als ebenbürtig ansehe. Als hätte sie es geahnt. Sie sind ein anspruchsvoller Mensch und das ist gut so, ich denke, man kann sich an Ihnen und Ihrer schönen Seele sehr gut reiben, das bringt bestimmt innerlich mehr voran, als sich die Personen das selbst eingestehen können. Kurz vor knapp beenden wir die Sitzung, ich renne zum Bus, eigentlich laufe ich, aber das ist inneres rennen, das Haar fliegt mir so durch die Gegend, wie ich das im Sommer immer wollte, kalter Wind, aber das ist auch schon in Ordnung so.
ich werde es niemandem erzählen
aber ich sehe deine Panik
ich werde es niemandem erzählen
aber ich sehe deine Panik
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
hej. alles, was du sagst, ist wichtig.
ich danke dir.